Schwarze Rose

25.05.2018


Hey, Du"
Ich erschrak, als ich unverhofft den Ruf – der eher einem Säuseln gleichkam – wahrnahm. Der Ruf einer sanften Stimme, deren Ursprung ich allerdings in der mich umgebenen Dunkelheit nicht deuten konnte.
Du siehst interessant aus. Ich glaub‘, ich mag Dich"
Ich kniff die Augen zusammen, konnte jedoch trotz aller Anstrengung nicht erkennen, woher diese Worte kamen und wer sie an mich richtete.


In den nächsten Tagen passierte beschriebener Ablauf immer und immer wieder und bald schon entwickelten sich ausschweifende Gespräche zwischen der Unbekannten und mir. Ohne, dass wir uns gesehen oder gar getroffen hätten. Und trotzdem schien uns etwas zu verbinden.


Als ich eines Tages davon sprach, dass mich Rufe aus der Ferne erreichten – zwar nicht lieblich säuselnd, aber dennoch verlockend – flammte ein Schimmer am sonst so dunklen Himmel auf. Ich folgte diesem Schimmer und fand endlich den Ursprung der Stimme: Eine wunderschöne schwarze Rose.


Überwältigt vom Anblick und der dunklen Eleganz dieser schwarz blühenden Blume, befürchtete ich kurz, dass mir die Stimme wegbleiben könnte. Die Rose aber – anscheinend sehr aufgeschlossen oder sich Ihrer Ausstrahlung nicht vollends bewusst – streckte immer wieder ihr Köpfchen zu mir hinüber oder piekste vorsichtig neckend mit ihren Dornen. Nach leichten und unterhaltsamen Stunden, die wie im Fluge vergingen, beschied sie schließlich, dass es Zeit sei zu gehen.


Nach qualvollen Stunden der Stille am nächsten Tagen – in denen ich dachte, ich sähe die schwarze Rose nie wieder – erfolgte schließlich am fortgeschrittenen Nachmittag wieder ihr lieblicher Ruf:
Hey Du. Ja genau, Du. Ich möchte Dich gern kurz wiedersehen und Hallo sagen


 

In den nächsten Tagen vergingen kaum ein oder zwei Stunden, ohne dass ich von der Rose gehört hätte. Obwohl sie doch weit weg war, schien sie mir unendlich nah. Und so kam es, dass die Rose ein drittes Mal den Schein am Himmel schimmern ließ und wir diesmal eine ganze Nacht zusammen verbrachten. Ich brachte ihr kleine Geschenke, goss sie vorsichtig mit Wasser und ließ sie ihre Knospen öffnen, die Blüten sich entfalten und in voller Pracht blühen.


Doch schon am nächsten Morgen zog sie ihre Blüten wieder ein und fuhr die Dornen bedrohlich aus.

So sollten die Treffen ab jetzt immer verlaufen. Erst erstrahlte sie in voller Blüte, dann verletzte sie mich mit ihren Dornen. Sie schwärmte von meinen Augen, um sie dann mit Tränen zu füllen, von meinem Lächeln, um dieses dann erstarren zu lassen und von meinem großen Herzen, um dieses dann mit Dornen zu durchbohren.


Ich weiß nicht, wovor die Rose Angst hatte. Ob sie mich für eine Gefahr hielt, für einen Rüpel, der sie brutal und boshaft zu pflücken im Sinne hatte oder ob es eine ganz und gar sonderbare Rose ist, der man sich zwar nähern, sie aber nie ganz erreichen kann.


Vielleicht wollte diese Rose aber auch nur mal wieder aufblühen, das Gefühl erleben wieder durch komplett geöffnete Blüten zu atmen und sich gelöst und leicht zu fühlen – nur um sich dann wieder zurückzuziehen.

 

Wahrscheinlich werde ich das nie ganz erfahren. Und so starre ich auf die leere Vase auf dem Küchentisch. Die Vase, in der jetzt eigentlich eine schwarze Rose vor sich hin blühen und ihren Duft verströmen sollte und deren Leere in mich zu kriechen droht, während die Dornen noch immer in meinem Herzen stechen.