Es ist DEINE Zeit

26.04.2019


„Hier noch jemand zugestiegen? Die Fahrkarten bitte!“

 

 

Der Schaffner in der DB-Uniform, die aussieht wie auf dem Schlussverkauf eines Karneval-Bedarfs, schaut mich auffordernd an.

 

 

„Entschuldigung, durch Verzögerungen im Betriebsablauf kann ich Ihnen meine Fahrkarte momentan leider nicht zeigen“, entgegne ich bissig, obgleich ich die Bahncard 100 natürlich griffbereit habe. Und obwohl er mich weiterhin auffordernd ansieht, ignoriere ich ihn und widme mich wieder meiner Zeitung. Normalerweise bin ich kein Arschloch und lasse meinen Frust nicht an jenen aus, die auch nichts an der Situation ändern können. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Was war also passiert?

 

 

Ich wollte mal wieder von Frankfurt nach Berlin fahren. Dumme Idee, das klappt einfach nie. Eine Woche zuvor habe ich beispielsweise durch eine verspäte Zubringer-Regionalbahn meinen ICE nach Berlin verpasst und musste eine Stunde auf die nächste – natürlich langsamere - Verbindung warten. Auf der Rückfahrt war dann plötzlich der S-Bahn Verkehr durch einen defekten Zug unterbrochen und es gab keinerlei Informationen zur geschätzten Dauer der Störung oder welche Streckenabschnitte tatsächlich betroffen wären. Im Endeffekt ging es dann mit Carsharing zum Berliner Hauptbahnhof – der Geldbeutel und die Umwelt sagen Danke. Zurück im Rhein-Main-Gebiet musste ich dann feststellen, dass die Bahn es für eine gute Idee hält am Osterwochenende überall zu bauen, sodass ich Bingen, Bad Kreuznach und das Mainzer Umland etwas näher entdecken konnte. Und zwar ganz gemächlich und mit viel Zeit.  

 

 

Und nun das: Angekommen in Frankfurt am Main verspätete sich der Anschluss-ICE immer mehr. +20min – technische Störung am Zug. +40min – technische Störung wird untersucht. Zugausfall. Also musste ich mal wieder auf die nächste, langsamere Verbindung umbuchen und wusste, dass das wohl vor Mitternacht nichts mehr wird mit Berlin. Ich hatte ein Déjà-vu. Nach einigen Minuten ging dann das Selbe Spiel von vorn los. +20min, +40min… Begründung: Eine Technische Störung an einem vorausfahrenden Zug! Ich ahnte zu wissen, wovon die Bahn da sprach…

 

 

Auf meine Frage, ob man überhaupt noch irgendwann nach Berlin käme, antwortete der DB-Lounge Mitarbeiter freundlich, dass ich rennen sollte um den – zumindest laut Bahn-App - anscheinend ausgebuchten Sprinter noch zu bekommen. Zumindest war eine Umbuchung auf diese schnellere Verbindung nicht möglich. Die DB-Lounge – das nur als Info zwischendurch – ist praktisch das zweite Wohnzimmer von Vielfahrern und eigentlich eine tolle Sache. Es gibt Gratis Getränke, WiFi, und Internet, Sitzgelegenheit und saubere Klos. Super, falls die Umsteigezeit etwas länger ist und mal wieder der Zug ausfällt. So zumindest in der Theorie. Heute allerdings waren die Klos nicht so wirklich sauber und vor allem teilweise außer Betrieb. Darum soll es hier aber nicht gehen, Toiletten auf Zugreisen sind eigentlich ein eigenes schönes Thema.
Es gäbe zwar keine Sitzplätze mehr, so der DB-Lounge Mitarbeiter also, aber ich solle mir doch einfach einen Cappuccino kaufen und mich ins Bord-Restaurant setzen. Leicht sprachlos ob der kreativen und zugleich frechen Problemlösung rannte ich also zum Zug um vielleicht doch noch am selbigen Tag – oder wenigstens Wochenende – anzukommen. Wenig überraschend war das Bord-Restaurant voll und die Sitzplatzreservierungsanzeigen wie viel zu häufig außer Betrieb, die meisten regulären Plätze aber eh besetzt. Also hieß es stehen trotz ursprünglicher Sitzplatzreservierung. Von Frankfurt am Main bis nach Berlin.

 

 

Fertig mit den Nerven konnte jetzt nur noch ein Kaffee helfen. Aber was soll ich sagen? Im Zug gab es laut Bordbistro kein Wasser. Also auch keine Tassen oder Gläser und KEINEN KAFFEE. Am nächsten Klo hing folgerichtig auch der gefürchtete gelbe Zettel – Toilette nicht benutzbar. Die Erkenntnis, wie beschissen diese Situation tatsächlich war, traf mich irgendwo zwischen Frankfurt und Erfurt mit voller Wucht. Gefangen in einem ziemlich vollen ICE ohne Wasser an einem Freitagabend mitten in der Pampa. Im Wissen, dass die Bahncard 100 ein Schweinegeld kostet und DAS dann der Service ist, welcher dafür geliefert wird. Natürlich kann ich das Fahrgastrechtformular einreichen, dann bekomme ich 10€ Entschädigung. 10€. Die Cola im Bordbistro kostete mich 3€, die nun verlorene Sitzplatzreservierung 4,90€. Bleiben als 2,10€. Aber auch nur, wenn ich das Magenknurren weiter erfolgreich ignoriere.

 

 


Nun – ich habe doch noch einen Sitzplatz ergattern können – sitze ich seit Erfurt am Tisch und tippe diesen Text in den Laptop. Wieso mache ich das. Was soll so ein Rant bringen? Wahrscheinlich nichts. Jedoch bleibt in Zeiten von Verkehrsdiskussionen, Dieselskandal, Klimademos und Wissenschaftlern, deren Warnungen immer verzweifelter klingen, der wichtige Aufschrei über den desaströsen Zustand der Deutschen Bahn aus bzw. ist er viel zu leise und halbherzig. Stattdessen gibt es immer wieder romantisierende Texte über ach so inspirierende Bahnfahrten. Die mag es auch geben, aber die Realität ist viel zu häufig leider eine ganz andere. Wie soll man Menschen davon überzeugen das Auto stehen zu lassen und Billigflieger zu meiden, wenn die Deutsche Bahn solch einen katastrophalen Service anbietet? Wo bleibt der öffentliche Druck, einen der größten politischen Fehler der letzten Jahrzehnte, den Umbau der Bahn in einen gewinngetriebenen Konzern, dem alles wichtiger scheint als sein Kerngeschäft, zu korrigieren?

 


Alles hier Dargelegte hat sich genauso zugetragen. Ok, nicht ganz. Ich habe meine Bahncard dem Schaffner natürlich gezeigt, der konnte ja nun auch nichts für die Misere. Dafür habe ich die ganze Zeit überlegt, welche Jokes ich in diesen Text einbauen könnte, allerdings war die Fahrt als solche Satire genug. Denn egal, wie sehr man sich auch anstrengt: die Deutsche Bahn schreibt die beste Satire. Nur nach Lachen ist mir dabei selten zu Mute.