Kapitel 4 – Verliebt in Berlin


Vorsätze? Welche Vorsätze?

3 Wochen bis Tag X


Diese blauen Augen. Mein Gott, hat sie diese blauen Augen geliebt. So durchdringend und ausdrucksstark, eiskalt und doch anziehend, so klar und rein wie das Wasser des Sees, in dem sie frisch verliebt im Sommer baden waren – nackt im Mondschein. Nun sind diese blauen Augen einfach nur leer. Wie tot. Sie glänzen nicht mehr in voller Pracht - aufgeweckt und voller Leben -, sondern brechen lediglich das Licht in den wenigen verbliebenen Tränen.

Mein Gott, was hat sie nur getan? Hat Dennis sie denn nicht immer auf Händen getragen, sie geliebt wie sie ist – mit allen Makeln und Fehlern -, treu zu ihr gestanden? Wieso nur kann sie ihn nicht mehr lieben? Den Mann ihrer Träume, mit dem sie Kinder wollte, dessen Nachnamen sie annehmen wollte? Sie versteht sich selbst nicht, hasst sich dafür und doch kann sie nicht mehr mit Dennis zusammenleben. In diesem Moment beschließt sie ihre Heimat zu verlassen und auf absehbare Zeit sich auf keinen Mann mehr einzulassen. Wenn schon nicht in Dennis‘, dann möchte sie in keines Mannes Armen liegen. Aber vor allem möchte sie diese blauen Augen nie mehr wiedersehen.

 

„Hallo? Geht es Ihnen gut? Sie sehen aus als hatten Sie einen Geist gesehen“,

spricht der Mann mit den blauen Augen Sara an.

„Darf ich Ihnen einen Drink ausgeben? Vielleicht geht es dann ja wieder“,

grinst er sie an.

„Ja, äh, gern. Ähem. Ich Ich, äh, hätte gern Sex… Ich meine einen Sex on the Beach!“

Sara läuft rot an. Hat sie das gerade wirklich gesagt? Verdammt, sie ist doch keine 18 mehr!

„Sorry, ich war gerade mit meinen Gedanken völlig woanders. Setz‘ Dich doch zu mir. Ich heiße übrigens Sara, und Du?“

Der Abend wird lang, es werden jede Menge Cocktails bestellt und es wird viel geredet. Ihr Gegenüber ist ein begnadeter Redner – charmant, klug und unverschämt gutaussehend. Sie verabreden sich zu einem erneuten Treffen. Morgen, selber Club, selbe Zeit.

 

Saras Herz klopft, als sie im Bett liegend an den Abend, das Gespräch und vor allem diese Augen zurückdenkt. Dieses Gefühl der Geborgenheit während sie sich in den Tiefen seines Blickes verliert - wie hat sie dieses Gefühl vermisst. Das Gefühl begehrt zu werden. Das Gefühl, wenn blaue Augen sie gierig durchbohren. Plötzlich stellt sie fest, dass er seinen Namen nicht einmal erwähnt hat. Trotz stundenlangen Gesprächs weiß sie nichts über ihn, seine Hobbies oder Vergangenheit. Sie weiß noch nicht mal, wo er wohnt. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken und ins Grübeln geraten kann, übermannt sie der Schlaf.

Natürlich träumt sie von seinen blauen Augen – und Sex on the Beach. 

    


 

Nur ein Albtraum?

Xxx Tage bis Tag X       


In dieser Nacht schläft Sara unruhig, hat im Traum irgendwie das Gefühl beobachtet zu werden. Sie spürt die Nähe von etwas Fremdem und doch Vertrautem   - von Jemandem. Sie glaubt sogar ein erregtes Atmen – beinahe schon ein Schnaufen – zu hören. Dieser Traum fühlt sich zu real an…

Schweißgebadet reißt sie die Augen auf, doch das Zimmer ist leer. Nur das Fenster ist angekippt und ein laues Lüftchen weht. Sara fühlt sich unsicher. Hat sie tatsächlich das Fenster offengelassen? War ihr gestern Abend nicht viel eher kalt, sodass sie schwören könnte das Fenster geschlossen zu haben? Sie versucht eine Weile den gestrigen Abend zu rekapitulieren, da sie aber zu keiner zufriedenstellenden Antwort kommt, schläft Sara nach ein paar Minuten wieder ein.


 

 

Kein Paradies auf Erden

10 Jahre bis Tag X

Seit jenem seltsamen Abend bei Schwester Magdalena versucht er sich an die Regeln des Internats zu halten. Er erscheint pünktlich zum Frühstück, nimmt ohne zu murren am Morgengebet teil, macht seine Hausaufgaben und lernt. Er hilft sogar bei der Gartenarbeit im Hof und schaut hin und wieder in die Bibel. Allerdings findet er dort wenig Überzeugendes. Er ist ein zutiefst unreligiöser Mensch, aber wenn er an etwas glauben müsste, dann wohl an nordische Götter. Thor, Odin, Loki, Freyr und so weiter. Diese Figuren der nordischen Mythologie fesseln ihn. Ihre Menschlichkeit und ihre Imperfektion gerade auch im Vergleich zum christlichen Gott und seinen Propheten begeistern ihn. Wer hält schon freiwillig nach einer Ohrfeige seine zweite Wange noch hin? Und welcher Gott opfert schon freiwillig seinen Sohn um die verkackte Menschheit zu retten? Da hält er es doch eher mit den nordischen Gottheiten. Thor zum Beispiel, der jederzeit seinen Zorn in Form von Gewittern an den Menschen auslassen kann. Und überhaupt, die christliche Prüderie. Während bei den nordischen Gottheiten Sex nicht nur dazugehörte sondern die wildesten Seitensprünge Bestandteil der Mythologie sind, ist dieses Thema im Christentum ja nun seltsamerweise ein Tabu. Von wegen unbefleckte Empfängnis und kein Sex vor der Ehe. Er ist 16 Jahr alt und verdammt neugierig was Frauen angeht. Da möchte er ganz sicher nicht bis zur Ehe warten. Er möchte den weiblichen Körper jetzt erkunden. Jungs und Mädchen werden im Internat selbst allerdings strikt getrennt. Also bleibt ihm nichts anderes übrig als sich verbotenerweise in die germanische Mythologie zu verkriechen und bei Gelegenheit mal einen Playboy ins Internat zu schmuggeln.

Nach Wochen der problemlosen Assimilierung wird er wieder zu Schwester Magdalene gerufen. Diesmal ist auch Schwester Daniela dabei. Er tritt ein und schließt nach einer Geste von Schwester Magdalena die Tür. Fragend schau er in die traurigen Gesichter der beiden Nonnen. Nach einer halben Ewigkeit des Schweigens schmeißt Schwester Magdalena plötzlich betont laut einen seiner Playboys auf den Tisch und durchbohrt ihn mit vorwurfsvollen Blicken. Schwester Daniela zieht dann plötzlich noch sein Buch zur nordischen Mythologie aus einer Schublade hervor und reißt langsam und genüsslich eine Seite heraus. Sie beginnt langsam und laut vorzulesen und dabei verändern sich die Blicke der beiden Schwestern mit jedem Wort immer mehr. Aus Schwester Daniela und Schwester Magdalena werden Freya und Skadi.

Zwei Stunden später verlässt er das Schwesternzimmer und verkriecht sich für den Rest der Woche in seinem Bett. Von nun an ist er ein Anderer. 


 

 

Kreuzberger Nächte sind lang

15 Tage bis Tag X

 

Die Kellnerin balanciert das Tablett mit buntem Essen und Cocktails, die wie gemalt aussehen, durch die Tischreihen. Sara weiß, wie anstrengend diese Arbeit ist. Sie hat in Ihrer Schulzeit selbst gekellnert. Bei dieser Kellnerin dagegen sieht es so federleicht aus – beinahe elfenhaft. So außergewöhnlich wie die Anmut der Kellnerin ist auch das Essen. Von den Nachbartischen her zischt und knistert es und eine unbekannte Welt aus Gerüchen weckt Saras Interesse. Sie liebt all diese wunderbaren Restaurants ins Friedrichshain, Kreuzberg, Neukölln, Prenzlauer Berg und Schöneberg. Das sind definitiv Berlins guten Seiten. Ungeduldig schaut sie auf die Uhr. Wo bleibt er denn bloß? Er wird sie doch nicht versetzt haben?

Das letzte Date in einem so tollen Restaurant lief weniger erfolgreich ab. Wobei man das auch von vornherein nicht unbedingt ein Date nennen konnte. Damals hat sie sich nochmals mit Dennis getroffen. Eine Art Versöhnungstreffen, aber auch ein Test, ob es noch irgendeine Basis geben könnte. Und obwohl sie viel zu bereden hatten, konnte sie einfach nichts mehr für ihn empfinden. Damals hat sie sich gefragt, ob sie zu einer gefühlskalten Soziopathin würde. Manchmal fragt sie sich das auch heute noch. Sie bestellt ein weiteres Glas Wein und beschließt ihm noch 10 Minuten zu geben.


Er sitzt im Auto und beobachtet sie seit bestimmt 20 Minuten. Auch wenn sie viel zu früh im Restaurant ankam, konnte er ihr ansehen, wie die Unruhe minütlich wuchs. Was für ein Gefühl der Macht. Was für ein Genuss. Auch wenn seine innere Stimme ihn auffordert noch zu warten, will er es nicht auf die Spitze treiben. Man muss eben auch wissen, was der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Und dieser ist jetzt. Er nimmt die Blumen vom Beifahrersitz und betritt das Restaurant.


Sara weiß nicht, ob es am Wein liegt von dem sie schon mehr als genug hatte, an ihren Hormonen oder am Licht. Auf jeden Fall sieht er gerade nochmals viel besser aus als bei den ersten beiden Dates.

„Bitte entschuldigen Sie die Verspätung M’am.“

Er streckt ihr grinsend beide Hände hin.  

„Sie dürfen mich gern verhaften und fesseln.“

Sara schmunzelt.

„Ich glaube, ich lasse sie nochmals mit einer mündlichen Verwarnung davonkommen – falls sie sich den Abend über benehmen.“

 Herzklopfen.


Sara schielt zu ihm hinüber und vertieft sich schnell in die Speisekarte. Hat er das bisschen Kokettieren jetzt sexuell aufgefasst? Und hat sie es vielleicht sogar so gemeint? Beide Fragen kann sie nicht sicher beantworten. Irgendwie verdreht er ihr ganz schon den Kopf, ohne dass sie sagen könnte warum. Klar, seine Augen. Und das männlich-herbe und doch faszinierend schöne Gesicht. Aber trotzdem, sie war doch nie so oberflächlich. Irgendwas ist da, eine Ausstrahlung. Eine Ausstrahlung, die sie so noch nicht erlebt hat – und die sie regelrecht einlullt.

Beide sitzen sie in die Speisekarten vertieft für einige Minuten still da. Dann einigen sie sich auf die Platte für Zwei mit vielen kleinen Tapas und Grillgerichten. Als sie auf das Essen warten, mustert er sie voller Neugier.

„Was gibt es Neues bei Dir? Kommt Ihr mit dem aktuellen Fall gut voran?“

„Nee, leider überhaupt nicht. Ich bin froh, dass ich es heute hierher geschafft habe – irgendwie. Momentan scheint es kaum etwas anderes als diesen Fall zu geben. Dann nicht voranzukommen, deprimiert und nervt.“

„Erzähl doch mal – also natürlich nur so viel wie erlaubt. Vielleicht hilft ja ein frischer Blick?“ 

„Ich kann natürlich nicht so viel erzählen, Dienstgeheimnis. Aber so wie es aussieht, hat es jemand auf dunkelhaarige Frauen meines Alters abgesehen. Andere Muster habe ich bisher leider noch keine erkannt.“

„Hmm, eventuell hat es ja was mit Menschenhandel und Prostitution zu tun? Vielleicht hält irgendein Verrückter aus einer Sekte alle dunkelhaarigen Frauen für Prostituierte? Und diese für Ungeziefer, das Weg muss?“

Sara muss kurz lachen und ist erleichtert daraufhin sein Lächeln zu sehen. Sie hatte schon kurz befürchtet ihn damit verärgert zu haben.

„Du hast wohl etwas zu viel Criminal Minds oder Kripo Gotland gesehen.“

Sie lächelt ihn an und freut sich über das Funkeln in seinen Augen.

„Aber klar, kann schon sein. Wir schließen sie etwas jedenfalls nicht aus. Und dass es die klassische Beziehungstat ist, denke ich eher nicht. Sonst hätte er durchaus polygam gelebt“

„Habt Ihr denn DNA gefunden? Heutzutage werden doch die meisten Verbrechen so gelöst, oder?“

„Das kann ich Dir leider nicht sagen“,

Saras Blick allerdings spricht Bände. Er scheint durchaus noch weitere Fragen zu haben, schluckt diese aber runter. Sara fühlt sich seltsam geschmeichelt und doch etwas verunsichert ob der Neugier. Dennis wollte nie etwas von Ihrer Ausbildung oder den praktischen Einsätzen wissen. Er war nie wirklich damit warm geworden, dass Sara Polizisten werden wollte. Er hatte kein gutes Verhältnis zur Polizei – verständlich bei dem, was er als Fußballfan und Demogänger so alles erlebt. 

Am Rest des Abends wird herzlich geplaudert und viel gelacht – Sara fühlt sich endlich mal wieder geborgen und zufrieden. Einfach so. Dank seiner Gegenwart. Als sie sich dann vor dem Restaurant verabschieden, zieht Sara eine Visitenkarte aus Ihrem Mantel hervor und imitiert die Tatort-Kommissare aus dem Fernsehen mit feierlicher Mimik.

„Wenn Ihnen noch etwas einfällt – egal was -, dann rufen Sie mich an.“

Er nimmt die Karte und schaut Ihr tief in die Augen. Sie kann später nicht mehr rekapitulieren wie es dazu kam und wer der Initiator war, doch findet Sie sich plötzlich im leidenschaftlichsten und längsten Kuss seit langem wieder. Verliebt in Berlin.

 


 

A Twisted Mind

13 Tage bis Tag X


„Guten Tag meene Damen und Herren, ich möchte uns’re heut’je Besprechung nutzen um eene and‘re Sicht uff die Morde – die wahrscheinlich zusammenhängen – zu bekommen. Deshalb habe ick Herrn Özcan vom BKA eingeladen. Er ist spezialisiert uff Verhaltensforschung und Täterprofile und hat sich die Morde in den letzten Tajen eenmal jenauer anjeschaut“

 Martin schaut in die Runde und erwartet Protest sowie die übliche Abneigung gegenüber externer Hilfe. Stattdessen findet er Dankbarkeit in den Blicken seines Teams.

„Herr Özcan, ihre Bühne.“

„Vielen Dank Herr Weinert. Nun, um es vorweg zu nehmen: Ich habe auch keine eindeutige Erklärung parat und werde Ihnen leider nicht den Täter präsentieren können. Auch wenn man uns das manchmal nicht glauben möchte, wir vom BKA sind auch nur Menschen. Und ich muss Ihnen gratulieren. Sie haben bisher super Arbeit geleistet.“

Auch wenn es sich hierbei natürlich um wohl kalkulierte Aufmunterung der Motivation wegen handelt, tut das Lob dem Ermittlerteam sichtlich gut, das seit einigen Tagen in einer Sackgasse zu stecken scheint.

„Ich möchte sie ermuntern aktiv mit mir in den Dialog zu treten statt nur passiv zuzuhören. Wenn zehn geschulte Hirne zusammen denken, haben wir definitiv einen Vorteil gegenüber dem Täter. Zusammen werden wir die Puzzle-Teilchen zusammensetzen.“

Motivierte Blicke im Team.

„Lassen Sie uns anfangen. Hypothese 1: Es handelt sich nicht um Terror. Es wurden keine Bekennerschreiben am Tatort gefunden und auch im Internet hat sich noch niemand glaubhaft zu den Morden bekannt. Auch sonst deutet nichts darauf hin.“

„Hat man das nicht auch lang vom NSU gedacht? Sollten wir einen möglichen terroristischen Hintergrund wirklich ausschließen?“

„Guter Einwand. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zum NSU. Damals kamen alle Opfer – bis auf die Kollegin aus Heilbronn – aus dem Ausland bzw. hatten in den Augen der Täter keine deutsche Identität. Bei unseren Mordopfern gibt es jedoch keine vergleichbaren soziodemographischen oder ethnischen Übereinstimmungen, die auf irgendeine Art des gezielten Terrors schließen ließen. Weder von rechts oder links, noch von religiösen Fanatikern oder sonstigen Fundamentalisten.“  

Zustimmendes Nicken.

„Hypothese 2: Es handelt sich um einen Einzeltäter. Das ist reine Spekulation gemischt mit Statistik. Wir gehen in Hypothese 1 davon aus, dass es sich nicht um einen Terrorakt handelt. Wenn jedoch Gruppen morden, dann meist aus terroristischen oder politischen Motiven. Oder um zu rauben, aber dann gäbe es nicht so viele Morde in so kurzer Zeit, von denen die allermeisten nicht nach Raubmorden aussähen. Außerdem wissen wir, dass die meisten Serienmörder allein arbeiten. Ein Täter allein hat mehr Kontrolle und reduziert die möglichen Fehlerquellen gegenüber eines Duos oder gar einer ganzen Gruppe enorm.“

Keine Einwände im Team. Auch wenn die Morde sich teilweise grundlegend unterscheiden, ging ein Großteil des Teams von einem Einzeltäter aus.

„Hypothese 3: Es geht dem Täter nicht nur um das Morden an sich. Die Morde haben eher eine Symbolkraft.“

Gemurmel im Besprechungsraum, einige Ermittler schauen skeptisch, andere überrascht oder neugierig.

„Wie komme ich zu diesem Schluss? Kein Mord war wohl ein Raubmord – falls einer so aussah, dann um eine falsche Fährte zu legen. Außerdem kam es zu keinen nachweisbaren sexuellen Handlungen nach der Tötung, es wurde kein Sperma gefunden, die Frauen waren allesamt bekleidet. Einen sexuellen Antrieb – zumindest im klassischen Sinne – würde ich also eher nicht sehen. Zu Zeiten immer neuer, seltsamerer Fetische würde ich natürlich nichts ausschließen, aber ich würde nicht in erster Linie nach Triebtätern suchen. Das Einzige, das die Opfer wirklich verbindet, sind

Geschlecht
Alter
Haarfarbe

Wenn es also einen Ansatzpunkt gibt, dann diesen. In meinen Augen stellen die Frauen ein Symbol da. Sie symbolisieren eine Fantasie oder auch Trauma, dass mit Frauen zusammenhängt. Mit jungen schwarzhaarigen Frauen.

Etwas Konkreteres kann ich leider aus dem bisherigen Aktenmaterial noch nicht herausarbeiten. Allerdings können Sie jederzeit auf mich und meine Kollegen zukommen. Wir wollen solche Typen ebenso von der Straße bekommen, wie Sie. Apropos Typ: Meiner Einschätzung nach handelt es sich um einen Täter, der in etwa im Selben Alter wie die Opfer ist und schon einige Jahre in Berlin wohnt – zumindest fühlt er sich an unterschiedlichsten Orten in der Stadt so sicher, dass er an verschiedenen Orten über die Stadt verteilt zuschlägt.“

Gemurmel brandet im Besprechungsraum auf. Martin dankt Kriminaloberkommissar Özcan, teilt das Team in zwei Gruppen auf – eines zur Recherche alter Vorkommnisse die irgendwie mit der Mordserie in Verbindung stehen könnten und eines, dass weiter normal ermittelt – und beendet die heutige Sitzung. Er ist müde, positiv überrascht über den Verlauf der Sitzung und doch etwas frustriert, dass sie immer noch keinen Schritt weiter sind.


 

 

Schon wieder bereit?

Eines Abends, 1,5 Wochen vor Tag x

 

Ihre Gedanken rasen vor und zurück, machen extreme Sprünge in der Zeit, zerreißen Ihr Leben in unendliche viele kleine Fetzen und setzen diese vollkommen ungeordnet wieder zusammen. Ihr Leben als Popart-Kultur. So liegt sie auf ihrem Bett und starrt in die Dunkelheit. Wach und doch gefangen im Delirium.

Der geheimnisvolle Fremde triggert etwas in Ihr. Gefühl, für die sie noch gar nicht wieder bereit schien. Das Thema Freund hatte sie eigentlich erst einmal ad acta gelegt. Karriere, Party, Freiheit; so hießen ich Pläne für Berlin. Und dann traf sie diese blauen Augen bzw. den Träger selbiger. Doch immer wenn sie sich auf das Gefühl der Schmetterlinge im Bauch einlassen möchte, sieht sie wieder Dennis traurigen Blick, seine apathische Reaktion, seinen Schmerz. Innerhalb von Sekunden wird aus den Schmetterlingen im Bauch ein Schlag in die Magengrube.  


 

 

Die Schöne und das Biest (muss nach twisted mind)

10 Tage bis Tag X


Manche Opfer sind schnell erbracht – und dementsprechend auch schnell beseitigt. Die junge Violinistin war so ein Fall, das war mehr oder weniger ein One Day Job. 1-2 Mal ausspioniert, aber die eigentlich Tat ging dann schnell. Bei anderen dagegen dauert es länger. So wie bei seiner derzeitigen Beute, die er seit mehreren Wochen jagt, aber noch nicht erlegt hat. Und das aufregende daran ist, dass sie die Jagd noch nicht einmal spürt, obwohl das große Finale kurz bevor steht.

Er ist über eine Anzeige im Internet auf sie aufmerksam geworden:

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Auf Grund seines sicheren Auftretens und seines gutes Aussehens war es kein Problem den Job zu bekommen. Eine einfache WordPress Seite und ein paar Internet-Weisheiten reichten schon aus um zu überzeugen. Allerdings tut er sich bisher mit der Ausführung seiner Pläne schwer. Nicht, dass er irgendetwas für sie empfinden würde. Selbst, dass sie mehrfach im Bett landeten, lässt ihn kalt und unberührt. Bloßer belangloser Sex, so wie immer. Keine Bindung, keine Gefühle, nichts. Noch nicht mal richtig Spaß hat der Sex gemacht, er war eher Mittel zum Zweck um schneller zu Ihr durchzudringen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Nein, das ist es also ganz sicher nicht. Es soll diesmal einfach sein Meisterwerk werden. Kein reines Mord-Handwerk sondern eine Sinfonie, eine Ode, ein Gemälde – die Mona-Lisa unter den Morden, so perfekt inszeniert wie sein gesamtes Erwachsenen-Leben. Sie soll den Köder für das ganz große Finale, für die 10. Rache, die große Offenbarung bilden - quasi die Ouvertüre zum letzten Akt.

Endlich, nach Wochen des Versteckens und des Schauspiels steht er kurz vor dem Ziel. Sie möchte morgen auf eine Preisverleihung und dort natürlich herausstechen. Deshalb hat sie sich von ihm über Wochen angebliche Wunder-Diäten und Fitness-Übungen für Bauch, Beine, Po auflegen lassen. Alles nur einige Mausklicke im Internet entfernt. Und trotzdem hat sie lieber ihn als Coach eingestellt. Er muss ob seiner Überzeugungskraft grinsen.  Nachdem er gestern schon Abendkleider mit ihr kaufen war – und er muss sich eingestehen, dass sie darin wirklich großartig aussieht – soll er heute das perfekte Parfüm für sie aussuchen. Sie möchte, dass er sie überrascht. Und das wird er definitiv tun.

Er zieht eine Spritze aus der Tasche, sticht langsam und vorsichtig durch den Korken mit dem das sündhaft teure Parfüm verschlossen ist und injiziert langsam, aber stetig die tödliche Flüssigkeit. Nickeltetracarbonyl - Farblos und geruchslos, aber höchstgradig effektiv. Ca. 3h nachdem sie ihren Hals mit dem Parfüm benetzt haben wird, wird sie tot sein.   


 

 

Eine lange Nacht

4 Tage bis Tage X


Tick-tack, tick-tack, tick-tack.
Gespenstische Stille. Nur das Ticken der Uhr durchschneidet das sonorische Nichts beständig mit seinem nervigen, seltsamerweise unrhythmischen Ticken.  ‚Interessant, wie anders Gebäude in der Stille der Nacht wirken können‘, wundert sich Sara, während sie mit Martin in dem ausgestorbenen Revier über den Fallakten brütet. Tick-tack, tick-tack. Obwohl Sara sich vorgenommen hatte nicht auf die Uhr zu schauen, geht Ihr Blick doch in Richtung der andauernden Geräuschquelle. 23:15 – und sie ist immer noch auf Arbeit. Selbstironisch muss Sara grinsen. Ihr ganzes Leben bereitet momentan viel Arbeit – und irgendwie macht Arbeit momentan 90% ihres Lebens aus. Wenn das mal keine Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ist. Vorbildlich. Aber ab morgen wird hoffentlich alles anders. Da trifft sie sich ihn das erstmal nicht in einer Bar oder einem Café. und wer weiß, vielleicht wird ja mehr daraus. dann muss sie zukünftig einfach mehr auf ihre Arbeitszeiten achten

‚Mensch‘, denkt sich Martin, ,janz schön taff, die Kleene. Ick glob, ick bestell uns ma wat schönet zu essen. So hungrij kann ja keen Menschen malochen‘. 25 Minuten später klingelt es an der Tür und Martin nimmt die Lieferung vom Asia-Imbiss entgegen. Einmal Asia-Nudeln mit Ente kross, einmal Reis mit Tofu in Curry-Bananen-Soße. ‚Ick glob, ick muss die Kleene endlich mal für ihren Einsatz loben.‘ denkt sich Martin und legt sich auf dem Weg zurück ins Gemeinschaftsbüro die passenden Worte zurecht. Dort findet er Sara mit dem Kopf auf der Akte – schlafend. Er stellt ihr das Bananen-Curry auf den Tisch, löscht das Licht und geht. ‚Vielleecht nen andret Mal‘, denkt sich Martin schon beinahe erleichtert.


 

 

Sehnsucht nach Stockholm

4 Tage bis Tag X

Sara wacht mitten in der Nacht im Revier auf. Allein. Das Essen steht noch vor ihr. Sie muss etwas über sich selbst lachen. Da ist sie doch tatsächlich im Revier eingeschlafen, über geöffneten Fallakten, während Martin das Essen von der Tür holte. Unglaublich. Sie macht sich das Essen in der Mikrowelle warm und ist es auf dem Weg nachhause. Gut, dass es in Berlin so viele Nachtbusse gibt, da muss sie wenigstens kein Taxi bezahlen.

Wenn dieser Fall vorbei ist, dann muss sie erstmal raus aus Berlin. Abstand finden. Zurück ins geliebte Stockholm, Freunde besuchen, Ruhe genießen, die nordische Freundlichkeit spüren. Und vielleicht kann sein ihn ja sogar mitnehmen.

Ihre Freunde aus der Studienzeit haben endlich eine Wohnung gefunden und gekauft. GEKAUFT!. Das ist für sie echt unvorstellbar, ein halbes Jahr nach der Ausbildung zur Polizistin eine Wohnung zu kaufen. Für mehrere 100.000 Euro. Weder in Berlin noch in der Heimat oder anderswo. Außer vielleicht in Stockholm eben. Aber das ist ja nun abseits jeder Realität. Trotzdem ertappt sie sich immer mal wieder dabei wie sie abends nach Wohnungen schaut. Bei blocket.se, Skanska Mäklaren, HSB, Väsby Hem, Sigtuna Hem, Hässelby Hem... Dafür, dass sie das eigentlich angeblich gar nicht will, ist ihre Liste ganz schön lang. Aber Mietwohnungen kann sie ehrlicherweise getrost vergessen. Da brauchte sie mindestens zwei Jahre Wartezeit auf den Wartelisten. Und dann hätte sie maximal die Chance auf eine Wohnung in den Außenbezirken. Also bliebe eh nur kaufen. Dafür allerdings bräuchte sie erstmal einen Job in Stockholm und sie weiß nicht, wie viele deutsche Polizisten in Stockholm benötigt werden. Vermutlich keiner.

Endlich zuhause im Bett träumt sie davon, wie sie mit ihm eine Wohnung in Sundbyberg bezieht und mit ihm am Wasser entlang spaziert. Vorbei an den Fünfgeschossern mit Holzfassade, dem gesunkenen Lastenboot, das heute als Biotop fungiert, hin zu den Gehegen mit Ponys, Schafen und Ziegen. Sie kann sich sogar vorstellen, dabei einen kleinen Lasse vor sich herzuschieben.

Sie muss sogar im Schlaf lächeln. Einen kleinen Lasse in Stockholm großzuziehen – das Leben wäre perfekt.