Prolog


Des Einen Leid, des Anderen Freud, gestern noch unvorstellbar, doch Wirklichkeit heut‘


Ein Lächeln zum Schluss

Tag X


"Oh, Verzeihung",

murmelt Sara als sie den Mann beim Aussteigen aus dem Bus leicht berührt und versucht dabei möglichst nicht zu fröhlich zu klingen. Berliner sind schnell grummelig, laut und harsch. Manche nennen es unfreundlich, andere Berliner Schnauze. Auf jeden Fall ist so momentan nicht in der Stimmung dafür. Deshalb dreht sie sich schnell um, damit der Mann ihr breites Grinsen nicht sieht. Das Grinsen, das sie schon den ganzen Morgen nicht aus dem Gesicht bekommt. Das Grinsen, das man auch ziemlich falsch verstehen kann im morgendlichen Berliner Berufsverkehr. Das Grinsen, bei dem sie einfach nicht weiß, was sie davon halten soll.

Seit sie in Berlin wohnt, hat sie sich noch nie so wohl gefühlt wie heute. Die Größe dieser Stadt, der Lärm, die Hektik - all das hat sie immer überfordert. Dazu wurde sie nie mit der typischen Berliner Schnauze und der leicht ruppigen Art warm. Doch heute ist alles anders. Heute fühlt sie sich nicht mehr fremd sondern endlich angekommen. Endlich zuhause. Und schuld daran ist nur ER. Seit sie mit ihm ausgeht, sieht die Welt wieder viel rosiger aus. Nicht mehr nur grau wie der mit Graffiti übersäte Beton überall in der Stadt - an guten Tagen. Sondern manchmal sogar farbig, heute beinahe plüschig,  denn gestern war er das erste Mal über Nacht bei ihr. Und die Nacht war fantastisch. Der Gedanke daran lässt sie regelrecht über den Asphalt schweben und sie fühlt, wie ihr Gesicht errötet. Ein rotes Mauerblümchen in der weiten Betonwüste der Großstadt.

Sie muss aufpassen nicht zu viel zu tänzeln, als sie am Tatort eintrifft. Sie versucht ernst und professionell zu wirken – immerhin ist es der erste Fall Ihrer Karriere und sie muss sich Ihr Standing erst noch erarbeiten, auch wenn ihr Vorgesetzter sie sehr fördert. Martin jedoch hat sie sofort durchschaut. Er ist nicht nur ihr Vorgesetzter sondern auch ihr Mentor – und ja, vielleicht so etwas wie ein Freund. Zwei Fremde in der Hauptstadt. Vereinte Eigenbrötler

"Haste Dich wieda mit ihm jetroffen?",

fragt er mit neugierigem Unterton und versucht streng zu gucken. Sie dreht sich mit einem Lächeln zu ihm um und möchte etwas sagen. Etwas zum Kokettieren, denn heute hat sie nicht vor gegen ihn zurückzuziehen. Nicht heute. Doch noch bevor sie etwas erwidern kann, bleiben ihr die Worte im Halse stecken als ein Schmerz so stark und endgültig wie noch nie ihre Stirn durchzuckt und das Bild vor ihren Augen für immer erstarren lässt.

 

Es ist, als ob die Welt für einen Moment stillstünde. Niemand sagt etwas, keiner rührt sich - eine gespenstische Stille. Nur das Rauschen der nahen Stadtautobahn und das Zwitschern der Vögel sind zu hören. Und ein Hund, der irgendwo in der Ferne bellt.